Samstag, 17. Mai 2008

Gipfetreffen und Klimawandel

Das 5. Gipfeltreffen Lateinamerika, Karibik und Europäische Union hat diese Woche in Lima statt gefunden. Die peruanische Flagge ist überall gehisst, auch auf jedem privaten Haus. In Lima hat Alan Garcia zwei nationale Feiertage ausgerufen, damit die Stadt nicht im Chaos versinkt. Die Limeños haben dies dankbar angenommen und sind aus Lima in die Sonne geflohen. Die Stadt ist ruhig, nur leider grau und kalt. Freitag ging der Gipfel zu Ende man hat eine 17 Seite Erklärung mit 57 Punkten erarbeitet wo es um Armut, Gesundheit, Umwelt und Bildung geht. Viel Luft und wenig Inhalt.

Frau Merkel ist auf dem Gipfel mit 33 Staatschefs aus Lateinamerika und 27 Vertretern aus EU-Staaten die prominenteste Repräsentantin aus Europa. Sie kommt mit zwei wichtigen Themen im Gepäck: Armutsbekämpfung und Klimawandel.

Sie ist Alan Garcia wohlgesonnen und so wurde bilateral vereinbart das eine Delegation aus dem Umweltministerium nach Peru reisen wird um das neue Umweltministerium, mit seinem während des Gipfels designierten Umweltministers Antonio Brack, zu unterstützen. Während Deutschland für die Einrichtung des Umweltministerums Tschernobyl 1986 brauchte, hat Peru sich für das Freihandelsabkommen der USA darauf einlassen müssen. Freiwillig scheinen weder die Europäer noch die Lateinamerikaner ein Umweltministerium einzurichten.

Klimawandel ist in Peru in aller Munde. Die Sensibilisierung der Menschen hier ist deutlich höher als für Bio-Produkte. Jeden Tag stehen Artikel zum Klimawandel in der Zeitung. Peru, so wird prognostiziert, ist eine der Regionen weltweit die am meisten vom Klimawandel betroffen sein wird, es aber in einigen Gegenden auch schon ist.

Die Entwicklungsorganisationen GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit), DED (Deutscher Entwicklungsdienst) und lokale Organisationen haben eine Fotoausstellung dazu erstellt: "El Clima cambia, mi vida también" (Das Klima ändert sich, mein Leben auch), in der einfache Menschen aus dem Volk von den Auswirkungen des bereits stattfindenden Klimawandels reden. Auch wenn nicht alle Statements einen eindeutigen Bezug zum Wandel haben, ist es eine schöne Fotoausstellung geworden, die sowohl in anderen Teilen Perus als vielleicht auch in Deutschland gezeigt werden soll.

Außerdem ist die private Universität PUCP mit einer großen Plakatserie in der Stadt präsent auf denen groß steht: Clima de Cambios ("Klima des Wandels)".


Gerne würde ich wissen ob Frau Merkel und die ganzen angereisten Parlamentarier bereits freiwillig CO2-Steuer für ihre vielen Flugreisen zahlen die dann in CO2 gewinnenden Projekten eingesetzt werden, zum Beispiel Atmosfair oder Stop-Climate-Change. Aber soviel stringentes umsetzen der eigenen Worte ist ja eher selten. Ich erinnere mich an eine Rede von Frau Künast bei einer Eröffnung der BIO FACH, die da sagt "und wenn alle Umweltorganisationen und NGO die soviel für die Umwelt tun wollen und darüber reden, öko kaufen würden, wären wir schon einen ganzen Schritt weiter" Ich finde das ist ein kluger Kommentar und mit solchen einfachen Maßnahmen die sicherlich nicht alleine den Klimawandel auf halten können aber Glaubwürdigkeit vermitteln könnten wären wir einen Schritt weiter. Und eigentlich passt das doch auch in die Politik der kleinen Schritte von Frau Merkel. Aber vielleicht irre ich mich ja auch und das Bundeskanzleramt funktioniert schon klimaneutral?

Gipfel der Völker

Neben dem offiziellen Gipfeltreffen Lateinamerika, Karibik und Europäische Union (ALC-UE) findet zeitgleich das Gipfeltreffen der Völker (Cumbre de los pueblos) statt. Da Alan Garcia, der Präsident Perus, zwei Feiertage ausgerufen hat, habe ich also frei. Mit Frau Merkel konnte ich leider keine Audienz vereinbaren, daher schaue ich mir also den Gipfel der Völker an.

Statt findet der Volksgipfel in der Universität der Ingenieure in Rimac, einem Stadtviertel wo ich sonst nie bin, ein armes, heruntergekommenes Viertel, weit ab von allem. Um den Ort des Geschehens gab es im Vorfeld eine große Diskussion. Der ursprünglich geplante Tagungsort die Universität San Marcos wurde nach Druck auf den Direktor abgesagt, der Direktor trat danach zurück. Willkommen ist der Gipfel, auf dem sich auch Eva Morales (bolivianischer Präsident) zum Fußballspielen angekündigt hat, nicht.
So wurde dieser in der Presse auch häufig als Anti-Gipfel dargestellt.

Tribunal des Volkes
Die ersten Tage findet ein Volkstribunal (Tribunal permanente de los pueblos) statt, dass ich leider selber nicht mitverfolgen kann. Hier werden Fälle von Rechtsverletzungen transnationaler Konzerne verhandelt. Angeklagt werden Minenfirmen (Monterico Metals - Majaz), Pharmakonzerne (Boehringer, Roche), Agramultis (Syngenta, Bayer) und viele mehr. Angehört werden NGO, die Bevölkerung und weitere direkte Beteiligte zu konkreten Rechtsverletzungen.

Transnationale Konzerne tragen auf der einen Seite derzeit zum Wirtschaftsaufschwung in Peru und ganz Lateinamerika bei, auf der anderen Seite werden permanent Menschenrechte verletzt und die Umwelt nachhaltig zerstört.
Leider profitiert die andine Bevölkerung nur wenig vom Reichtum der Giganten oft ist es der Kampf David gegen Goliath. Eine Kampagne von Misereor bringt es auf den Punkt "Der Reichtum geht, die Armut bleibt".

Das Tribunal hört sich zunächst die Faktenlage an, zieht sich dann zu Beratungen zurück und verkündet einen Tag später ihre Urteile. Der Agrarkonzern Camposol wurde verurteilt für seine Anti-Gewerkschafts-Praktiken und Verletzungen der Menschenrechte, Bayer für den Tod von 24 Kindern in Cusco die 1990 bei einem Schulfrühstück mit Insektenmittel verseuchtem Essen zu sich nahmen (siehe blog Hildegard" Volksgericht"), und das Minenunternehmen Río Blanco Cooper (Ex-Majaz) für die Umweltzerstörung in Piura. Die Ergebnisse und Empfehlungen dieses
Schauprozesses werden dem Vorstand der Menschenrechte der Vereinten Nationen, der Kommission der Menschenrechte der OAS und dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag übergeben.

Erklärung des Volksgipfels an den offiziellen Gipfel

Am Donnerstag überreichte eine
Delegation des Volksgipfels in einer offiziellen Zeremonie eine Erklärung an die Verantwortlichen des 5. Gipfeltreffens der ALC-UE. Außenminister José Antonio García Belaúnde und der slowenische Kanzler Dimitriji Rupel haben die Erklärung entgegen genommen. Der Volksgipfel spricht sich in dieser Erklärung gegen die Bündnisse mit der europäischen Union in der derzeit ausgestalteten Art und Weise aus, da dadurch das Ungleichgewicht zwischen arm und reich erhöht, Menschenrechte verletzt und die Umwelt zerstört wird.

Nach drei Tagen gab es eine Abschlussveranstaltung mit mehreren tausenden Menschen. Hauptfiguren der Abschlussveranstaltung waren Eva Morales und Ollanta Humala. Ollanta ist eine schillernde linke politische Figur, die 2006 mit García um die Präsidentschaft antrat. Hugo Chavez hatte seine Teilnahme noch kurzfristig wegen Verpflichtungen auf dem Haupt-Gipfeltreffen abgesagt.

Bildeindrücke die die Stimmung wieder geben.

Hier wird ein recht aufwieglerischer Diskurs gehalten über die Ausbeutung der Menschenrechte durch Minenkonzerne und die Zerstörung der Umwelt, insbesondere durch Wasserverschmutzung. Zwischen dem Diskurs werden immer wieder im Chor verschiedene Schlachtrufe angeheizt zum Beispiel: "La selva no se vende, la selva se defiende" (Der Urwald wird nicht verkauft, der Urwald wird verteidigt).


Ein kleine Demonstration auf dem Uni-Gelände für gerechte Arbeitsbedingungen


Auch verschiedene Kulturen und Völker kommen zu Wort

Die radikalen linksreligiösen-Fanatiker fehlen leider nicht. Hier wird es mir dann echt zuviel. Das Plakat stellt Christus als ersten Revolutionär vor und der Slogan sagt: "Da wo Ungerechtigkeit herrscht, gibt es Revolution".

Schlimmer wird es dann noch mit der Ungerechtigkeitspyramide des Kapitalismus. Ganz oben an der Spitze die europäischen Präsidenten, danach kommt schon gleich der Papst (der Antichrist) und die Bestie (George Bush). Damit diskreditiert sich diese Veranstaltung leider unnötig. Solche platten, undifferenzierten frasendrescher sollten von den Organisatoren lieber nicht zugelassen werden.

Kunst und Kultur fehlt auch nicht, eine kleine Ausstellung


Der Text sagt: Nach dem Essen von Gentechnik-Produkten. Wenn die Auswirkungen so eindeutig wären, wäre die Diskussion auch leichter ;-).


Ein sehr schönes Buch verbirgt sich hier hinter.
Die Geschichte eines Andendorfes zur Zeit des Sendero Luminoso:

Klappt man das Hemd auf entfaltet sich die
reich bebildert Geschichte .
Das Ende der Geschichte sagt: NUNCA MAS! - Nie wieder!


Mein persönlicher Eindruck
Als ich in das Uni-Gelände eintrete habe ich das Gefühl: E-N-D-L-I-C-H mal eine Gegenströmung zu den konformistischen Limeños. Ich sehe und höre sowohl
konstruktiven Diskurs als auch Aufwiegelei. Ich schwenke schnell zwischen "ist mir alles zu links, zu platt gegen den bösen Neoliberalismus" und einer Faszination von Menschen die hier zu Wort kommen und ihre Rechte verteidigen, hin und her.

Am eindringlichsten finde ich ein Statement einer andinen, einfachen Bauersfrau die die Umweltauswirkungen einer Mine in ihrem Dorf beschreibt, die voller Verzweiflung sagt: "Wir sind auf unser Glück angewiesen das uns jemand hilft "und dann aber mit Stolz hinzufügt: Unsere Armut wird ausgenutzt. Wir sind nicht arm, wir arbeiten rund um die Uhr, wir arbeiten hart, wir ernähren uns von dem was wir anbauen, wir sind keine Bettler, wir haben unsere eigene Ideologie und Wertschätzungen. Und mir fällt ein Satz ein den ich einmal in einem Fotoband über das Leben in den Anden gefunden habe: "Este forma de vida no nos pertence, pero no podemos dejar de valorarla"- Diese Art zu Leben ist nicht unsere, aber wir dürfen nicht aufhören diese zu wert schätzen. Und ich denke da ist viel Wahrheit dran: Welches Recht haben wir das andine Leben zu entwerten, nur weil es nicht unserem Lebensstil entsprich?

Mir ist mal wieder bewusst geworden, dass es in einer Gesellschaft wie Peru / Lateinamerika viel schwieriger ist mit einer Stimme zu sprechen als in Europa. Die Kluft zwischen der andinen Bevölkerung, den Stämmen der Selva und den Limeños ist riesig. So wie ich oft auf interkulturelle Barrieren stoße, treffen hier die Menschen innerhalb eines Landes auf interkulturelle Konflikte. Das macht es nicht leicht mit einer Stimme zu sprechen.

Ich halte diese Veranstaltung für wichtig als Gegenpool zu dem ganzen Mainstream. Zu wünschen wäre der Veranstaltung mehr Beteiligung, mehr Unterstützung und Wertschätzung durch den Staat, eine gezieltere Auswahl der Organisationen ohne fanatische linke und mehr Aufbruchstimmung statt blinder Wut. Solch eine Veranstaltung sollte durch eine starken kreative und konstruktive Aufbruchstimmung und dem Gefühl alle ziehen an einem Strang geprägt sein und nicht durch Klientelismus und generellen platten Anfeindungen an den Neoliberalismus.