Freitag, 18. Juli 2008

Ayacucho I: Faszinierende Landschaft und grausame Vergangenheit

Ayacucho liegt auf 2761 Metern über dem Meeresspiegel. „Winkel der Toten“ heißt es übersetzt. Und dem Namen hat Ayacucho leider während der Zeiten des Sendero Luminoso alle Ehre gemacht.

Eine Woche Urlaub, eine Woche Ruhe bloß raus aus Lima! Ich komme in einem kleinen Hostal bei einer holländischen Familie unter wo ich mich direkt wohl fühle (außer dem nächtlichen Hundegebell).

Ich habe in dieser Woche mal wieder viel über das Land gelernt in dem ich zur Zeit lebe und vor allem seine faszinierende Schönheit gesehen und gespürt. Diskussionen beim Besuch im „Museo de la Memoria“ (Erinnerungsmuseum über die Zeit des „Sendero Luminoso“), mit dem Künstler für Retablos Edwin Pizarro und Gespräche mit den Einheimischen und Ausländern haben mir mal wieder gezeigt wie Zwiegespalten Lima und der Rest seines Landes immer noch ist. Aber es bleibt eine immer wiederkehrende Faszination für die Anden und seine Menschen.

Besuch im Museum de la Memoria
Die Organisation ANFASEP, die das Museum gegründet hat, setzt sich für die Aufklärung und strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen zur Zeit des Sendero ein. Ich weiß nicht genau warum, aber ich wollte auf jeden Fall in dieses Museum, und bin fast so entsetzt wie nach dem Besuch in einem KZ.

Bürgerkrieg: Nachbar gegen Nachbar, Abgemetzel, Folter, Demütigungen, Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Menschen werden in einem Ofen verbrannt und „entsorgt“ und in all dem Elend Frauen die sich auf die Suche nach ihren Männern und Kindern machen und 1983 bereits ANFASEP gründen. Die Gründerin wurde nichts desto trotz auch gleich unter der Regierung Fujimoris als Terroristin abgestempelt. Ich bin entsetzt und ich kann mir das Grauen in dieser so magischen und faszinierenden Landschaft nicht vorstellen.

Sendero Luminoso – Kurzer Rückblick
Anführer der Bewegung war Abimael Guzmán, Philosophieprofessor der in den 60-er Jahren China zu Zeiten der Kulturrevolution bereist hat. Zu dieser Zeit war Ayacucho eine der ärmsten Provinzen Perus. Die schlechte ökonomische Situation und geringen Entwicklungsmöglichkeiten der verarmten Bevölkerung des Hochlandes wurden von der Regierung in Lima nie erst genommen. Mit indigenem Aussehen fand man trotz eines Hochschulabschlusses oft keinen Arbeitsplatz. Diese Vernachlässigung der Region bereitete dem Sendero einen fruchtbaren Bodens. Das politische Ziel des Sendero war jedoch nicht die Verbesserung der sozialen Lage der Bauern, sondern der völlige Umsturz der bestehen Gesellschaftsordnung durch einen Volkskrieg.

Für die Andenbewohner war die Zeit des Senderos ein Leben in der Zwickmühle. Wer nicht mit den Sendero-Leute zusammenarbeitete wurde als Gegnern entführt, gefoltert und umgebracht. Wer jedoch umgekehrt nicht bedingungslos mit dem Militär zusammenarbeiten wollte musste in gleicher Weise mit Entführung, Folter und Mord durch das Militär rechnen. Auf beiden Seiten fanden Massenmorde an ganzen Dörfern statt immer noch werden Massengräber aufgedeckt. Alle Familien in dieser Region haben Opfer zu beklagen. Die Gewalt in den Gebieten führte zu einer Massenflucht nach Lima.

Der Sendero Luminoso existierte von 1980- 2000. Wobei nach 1992 mit der Festnahme von Abimael Guzmán die Gewalt stark zurück ging. Die Gesamtzahl dieses Bürgerkrieges schätzt die Wahrheitskommission in ihrem Abschlussbericht von 2003 auf ca. 70.000 Menschen. Es sind Ausgleichzahlungen für die Familien vorgesehen aber der Prozess geht nur langsam und schleppend voran. Alan Garcia heutiger Präsident war zur Hochzeit des Senderos ebenfalls Präsident. Ein Interesse an der vollständigen Aufklärung ist also nicht in allen Fällen sehr hoch.

Edwin Pizarro, Künstler von Retablos
Nach dem Besuch im Museo de la Memoria stehe ich in der Mittagssonne vor der Künstlerwerkstatt von Edwin Pizarro. Ein Peruaner, mit außergewöhnlich aufgeweckten Augen, öffnet mir die Tür und ich stehe in seiner Werkstatt mit lauter kleinen, bunt bemalten und filigranen Figuren. Die Figuren werden aus einer Teigmasse unter anderem aus Chuño (gefriergetrocknete Kartoffeln) hergestellt. Edwin Pizarro erzählt mit seinen Retablos Geschichten aus seinem Land und Ayacucho. Ursprünglich waren diese als Krippendarstellungen gedacht, heute erzählen diese aber auch andere Geschichten. Hier eine Darstellung von einer Totenfeier.


Ein Retabla erzählt auch die Geschichte der Region vor, während und nach der Sendero Luminoso Zeit. Nach meinem Besuch bei ANFASEP bin ich ganz begeistert wie sich diese Organisation einsetzt für eine Aufklärung der Geschichte aber Edwin hält nicht viel davon und so hat seine Familie auch nicht den eigenen Fall des verschwundenen Bruders gemeldet um Ausgleichszahlungen zu bekommen. "Was sollen wir mit dem Geld? Wir erwarten nichts davon, wir möchten dass es der Region besser geht". Und er hat eine lange Liste was in Ayacucho und Peru nicht funktioniert wie zum Beispiel das korrupte Bildungssystem.

Trotzdem möchte Edwin und seine Familie nicht aus Ayacucho weg auch wenn er bereits mit seinen Retablos in Belgien und Frankreich war. Und wenn er von den Bräuchen und Gewohnheiten in Ayacucho und seinem Engagement in einer Volkstanzgruppe erzählt spüre ich eine starke Verbundheit mit den Riten der Menschen und der Natur in Ayacucho.

Beide Besuche haben mich stark bewegt insbesondere die Offenheit der Menschen die soviel über sich und ihre Geschichte erzählen.

Und heute?
Auch heute noch ist Ayacucho eines der ärmsten Regionen Perus und schon wieder fühlen sich die Menschen hier nicht gewertschätzt und vor allem vergessen. wider bereitet sich ein Nährboden für rechte Gruppen. Als hätte man aus der Geschichte nichts gelernt. Ca. 100 km von Ayacucho entfernt fängt die Selva an mit seinem Coca-Anbaugebiet, ebenfalls eine Krisenregion.

Aber auch heute werden wieder Terroristen in Peru verfolgt. Diesmal sind es nicht die Senderos, diesmal werden Menschen als Terroristen abgestempelt, in Wahrheit sind es Umweltaktivisten, und Menschenrechtler, eben alle die sich für Rechte einsetzen für die der Staat keine Zeit hat, weil sie das Wirtschaftswachstum behindern. Auch das ist eine alte Geschichte die sich hier wiederholt und die sich auch im 21. Jh in vielen anderen Ländern der Welt zuträgt. Menschen mit anderen Meinungen werden kriminalsiert und mundtot gemacht. Es bleibt also wie so oft ein Wehrmutstropfen übrig in dieser schönen Landschaft. Ich wünsche mir für die Menschen, dass der Staat sie ernst nimmt damit sich die Geschichte nicht wiederholt.

Buchtipp: Die blaue Stunde (La hora azul), Alonso Cueto
Adrián Ormache, Rechtsanwalt, lebt in der Hauptstadt Lima. Er gehört zur Oberschicht Limas. Nach dem Tod seines Vaters, der zur Zeiten des Sendero Luminos im Ayacucho als Militär stationiert war, entlüftet Adrián dessen Geheimnis. Das Buch bietet einen guten Einblick in die Gesellschaft Limas und auch einen Einstieg in das was der Sendero Luminoso in den Regionen wie Ayacucho angerichtet hat. Ich habe es auf spanisch besonders genossen, weil es im limenischen Sprachumgang geschrieben ist.

Ayacucho II: Ex-Präsident Fujimori: Für die Limeños schwarz für die Landbevölkerung weiß

Alberto Fujimori war von 1990 bis 2000 Präsident Perus. Dieser wurde wegen Korruption und Verstoßes gegen die Menschenrechte durch den Kongress seines Amtes enthoben und floh nach Japan zu seinen eigentlichen Wurzeln zurück. Seinen Rücktritt erklärte er per Fax aus Japan.

Obwohl Fujimori gerade in Lima vor Gericht steht wird er auf dem Lande - so auch in Ayacucho - immer noch geschätzt und geliebt. Fujimori hat während seiner Amtszeit 1992 Abimael Guzmán, den Anführer des Sendero Luminoso, festgenommen und damit den wichtigsten Schritt zur Zerschlagung des Sendero beigetragen. Aber vor allem hat er die Menschen im Hochland als erster Präsident gewertschätzt. Es war das erste Mail das sich die Menschen in dieser Region nicht vergessen fühlten. Er hat in den Dörfern Strassen gebaut, ein Gesundheitssystem eingeführt, öffentliche Telefone zur Kommunikation eingerichtet, Schulen gebaut und war vor allem war er persönlich oft vor Ort und hat den Menschen das Gefühl gegeben sie ernst zu nehmen.

Hier in dieser Region lässt kaum jemand etwas auf Fujimori kommen. Und wenn man nach seinem Geld Hinterziehungen fragt habe ich gehört: „No sé si era el dinero del pueblo o solo el dinero del narcotrafico“ („Ich weiß nicht ob es das Geld des Volkes oder nur das des Drogenhandels war“). Für mich gibt es da keinen Unterschied, aber hier schaut man da schon gerne einmal drüber weg. Und auch die Menschenrechtsverletzungen und Scheindemokratie von Fujimori werden in dieser Region komplett ausgeblendet, die "gefühlte Wertschätzung" durch Fujimori zählt mehr.

Auch das Fujimori aus Japan zurück gekehrt um sich wieder zur Wahl zu stellen wird im positiv ausgelegt. Da er trotz des Risikos im Gefängnis zu landen zurückgekehrt ist wird im echter Patriotismus zu seinem Land nachgesagt. Für mich das das ehrlich gesagt Größenwahnsinn, Machtgehabe und irgendwie auch schlichtweg Dummheit.

Für die Limeños, die den Prozess in Lima mit großem Interesse verfolgen ist Fujimori ein Betrüger und Diktator; sein Bild ist schwarz. Für die Landbevölkerung ist er weiß, der Gute. Auch das spiegelt den großen Unterschied zwischen Lima und dem Rest des Landes wieder. Die Wahrnehmungen sind komplett unterschiedlich und es findet leider kaum Austausch zwischen den Anhängern und den Gegner Fujimoris statt, so dass es nur weiss oder schwarz in diesem Bild gibt.

Donnerstag, 17. Juli 2008

Ayacucho III: Zelten auf 4.000 meter

Und zum Abschluss meines einwöchigen Urlaubes gab es dann noch zwei Tage zelten. Oberhalb von Quinua, in der Nähe von Ayacucho, werden wir vom Busfahrer mit Zelt und allem drum und dran auf 4.000 m Höhe ausgesetzt um eine bisschen zu wandern und eine Nacht in der Kälte zu verbingen. Die 5.000 m schaffen wir dann auch nur anzuschauen anstatt sie noch zu erklimmen.

Ein See mit leckeren truchas (Lachs)


Erstmal wird frischer Fisch gefangen der dann 3 Stunden später gegrillt in meinem Magen verschwindet.


Und ich habe vergessen das Zelt zu fotografieren, aber bei der Sonne glaubt man auch gar nicht das es dort nachts ganz schön kalt wird.

Weite Landschaft und blauer Himmel
tun sooooo gut!

Dienstag, 15. Juli 2008

"You are in Peru, baby"

Im Straßenverkehr gilt das Recht des Stärkeren, welches sich leider nicht nur im Straßenverkehr, sondern - wie ich oft finde - auch in der Gesellschaft wieder findet. Heute hatte ich dazu eine nette Begebenheit.

Ich laufe durch den Olivar, dem grünen Olivenhain mitten in Miraflores nach Hause und will eine kleine Strasse überqueren. Im Feierabendverkehr ist auch diese Strasse viel befahren. Ich gucke bevor ich die Strasse überqueren möchte und sehe ein Auto auf mich zu kommen. Nichts desto trotz setze ich einen Fuß auf die Straße, denn sein Recht als Fußgänger über die Strasse, mit oder ohne Zebrastreifen zu gehen, muss man sich schon nehmen, geschenkt wird es einem nicht. Ich sehe schon das es nicht gut für mich aussieht, grummele dann dem Autofahrer, der dicht an mir vorbei fährt in sein offenes Fenster "Idiot" zu, worauf ich als Antwort bekomme: "You are in Peru, baby". Ich bin etwas verdutzt übe die Antwort und muss dann doch schallend lachen. Er hat natürlich Recht. Wie konnte ich das schon wieder vergessen. Nichts desto trotz versuche ich es bei der nächsten Überquerung wieder. Und so gewinnt wohl mal der eine und mal der andere aber ich werde es mir merken: You are in Peru, baby!