Samstag, 29. November 2008

Nicaragua die Dritte

Managua. Nach 22 Stunden endlich angekommen! Es kommt mir schon sehr vertraut vor. Es ist das dritte Mal das ich hier lande. Aus dem klimatisierten Flughafengebäude herauskommend schlägt mir die feucht-warme Luft entgegen. Und ein unendlich blauer Himmel. Es fühlt sich sehr vertraut an, nicht so fremd und neu wie beim ersten Mal.

Ich fahre mit dem Taxi zum Büro und wie auch im letzten Jahr springen mir die Bilder von Comandante Daniel Ortega entgegen. „Arriba los pobres del mundo: más democracia, más poder” – („Die Armen der Welt an die Macht – Mehr Demokratie, Mehr Macht”). Das Bild ist das gleiche: Daniel Ortega mit einer unmotivierten erhobenen Faust - es sieht so gar nicht kämpferisch aus.

Soziale Ungleichheiten
Nicaragua hat 5,58 Millionen Einwohner und ist von einer extremen sozialen Ungleichheit gezeichnet. Die Armutsrate beträgt laut Weltbank(2005) 46%. Auf dem Land sogar 68%. Die Inflationsrate lag laut Banco Central de Nicaragua 2007 bei 16,9% (2006: 9,5%; 2005: 9,9%). Die Pro-Kopf-Ausgaben im Jahr 2007 sind gegenüber 2006 um mehr als das Doppelte gestiegen. In erster Linie sind Lebensmittel und Benzin teurer geworden. Die Regierung antwortet auf die Preissteigerung mit populistischen Maßnahmen. Es werden Schweine an Familien geschenkt, welches zwar kurzzeitig das Ernährungsproblem löst, langfristig aber weder die soziale, noch wirtschaftliche Lage der Familien verbessert. Dafür gibt es aber auch kostenlose Arzt- und Schulbesuche sowie das Sozialprogramm „Hambre Cero“ (Null Hunger). Dieses soll vorwiegend der armen Bevölkerung helfen, sich mit Grundnahrungsmitteln selbst zu versorgen

Wahlkampf mit Gott und Box-Champion
Am 23. November wurden in Nicaragua in 146 von 153 Kommunen der Bürgermeister gewählt. Danach gab es einen großen Skandal wegen Unregelmäßigkeiten. Die Wahlen sollen nicht frei und unabhängig gewesen sein. Von Wahlbetrug durch Daniel Ortega ist die Rede.

Was mich erschreckt sind die Wahlplakate, die noch überall hängen mit dem Spruch: „Cumplir al pueblo, es cumplir a Dios“ (Das Volk zufrieden stellen, heißt Gott zufrieden stellen). Daniel Ortega steht insbesondere den evangelikalen Kirchen nah, die in Nicaragua (auch in Peru) ein Gegengewicht zu den rechtsgerichteten Vereinigungen wie zum Beispiel das Opus Dei darstellen. Die katholische Kirche hat Ortega mit einem der schärfsten Abtreibungsgesetze „beglückt“. Das Gesetz stellt Schwangerschaftsabbruch in jeden Fall unter Strafe, auch wenn das Leben der Mutter gefährdet ist oder die Frau vergewaltigt wurde. Das Ganze wurde unter Zustimmung der katholischen und protestantischen Kirchenführer des Landes unterzeichnet.

Die Wahlplakate und die Sozialprogramme kommen mir vor wie „Brot und Spiele“. Das passt auch zu der Kampagne von Alexis, der nun gewählte Bürgermeister in Managua ist. Alexis war ein weltbekannter Boxer mit Weltmeistertitel (nicht das ich schon mal was dem gehört hätte). Sein Wahlspruch: „Campéon 2008“ (Champion 2008).

Und ich in Nicaragua?
Meine Hauptaufgabe ist es diesmal ein Trainingskurs für unsere Inspekteure zum Standard GLOBALGAP und UTZ CERTIFIED . Hier geht es um gute fachliche Agrarpraxis. Das Programm zwei Tage Büro, einen Tag praktische Übungen auf einer Kaffee-Finca.

Besonders interessant fand ich aber unsere kleine Veranstaltung im IICA (Instituto Interamericano de Cooperación para la Agricultura). Hier soll ich wieder mal etwas zur neuen EU-Verordnung zum ökologischen Landbau erzählen. Den Vortrag habe ich bereits vor zwei Wochen in Kanada gehalten, allerdings habe ich hier ein unerwartetes Publikum vor mir. Ich habe das Gefühl man hätte vielleicht nicht mit den Änderungen, sondern mit der EU-Verordnung allgemein anfangen sollen, auch wenn es sich bei den meisten Teilnehmern um die „Mesa redonda ecologica“ (runder Tisch zum Ökolandbau) handelt.

Interessant war wie immer die Zeitkomponente. Die Veranstaltung ist auf 8.00 Uhr angesetzt. Mein Kollege und ich - als Vorträger - kommen um 8.30 an. Angefangen wird dann so um 9.30. Da hätte ich ja noch 1, 5 Stunden arbeiten können denke ich mir wohl wissend das das E-Mail Postfach voll sein wird. Ich finde diese Unpünktlichkeit, Unplanbarkeit immer noch anstrengend und kann mich an diese ungenauen Zeitangaben einfach nicht gewöhnen. Weitere Teilnehmer kommen erst um 10.30 da sollte die Veranstaltung eigentlich schon fast zu Ende sein. Ich denke an das Buch „Landkarte der Zeit“ und an den Unterschied zwischen "Erlebniszeit" und "Uhrzeit". Während ich nach der Uhr lebe, leben viele Menschen in Lateinamerika nach der Erlebniszeit. Ein Ereignis dauert so lange wie es dauert und dann geht man eben zum nächsten über. Das hat durchaus auch etwas sehr positives.

Zum zweiten Mal in meinem Leben befand ich mich "urplötzlich" in einer Karaoke-Bar. Das ist sowohl in Peru, Bolivien als offensichtlich in Nicaragua ein beliebter Zeitvertreib. Glücklicherweise konnte ich es auch diesmal wieder von mir abwenden selbst zu singen. Aber ganz ehrlich sind diese lateinamerikanischen Schnulzen auch nix für mich. Aber die Latinos lieben es und es ist als Zuschauer auch recht lustig zu sehen (besser zu hören) wer sich auf einmal als begnadeter Sänger aus der Runde entpuppt.


Zurück in Lima vermisse ich sofort den blauen Himmel Managuas. Es wiederholt sich jedes Jahr, aber es ist auch jedes Jahr wieder zum stauen wie anders diese Welten sind, welch anderes Tempo, welch andere Gewohnheiten. Und wie schön es ist einen anderen Teil von dieser Welt zu kennen und zu teilen.

Samstag, 1. November 2008

Auf dem Friedhof einmal quer durch Peru

Allerheiligen - Día de los muertos. Ich fahre wie vor zwei Jahren nach Villa Maria de Triunfo zum Friedhof. Er soll, mit 200 qm, der größte Friedhof Lateinamerikas sein.

An Allerheiligen geht es dort zu wie auf einem Jahrmarkt.
Das Taxi schafft es nicht bis zum Eingang, so voll ist es. Ich muss fast einen km laufen. Auf der einen Seite der Strasse laufen die Menschen auf der anderen Seite fahren die kleinen wendigen Mototaxis. Die Luft ist voll von Staub und dem Gestank des Benzins der Mototaxi. Das Ganze wird vermischt mit Essensgerüchen von Grillfleisch, Pachamanca, Chicharones, Ceviche...... Hier wird heute die komplette peruanische Küche angeboten. Auf dem Friedhof kann ich sowohl kulinarisch als auch musikalisch einmal quer durch Peru reisen, denn die Menschen kommen hier aus allen Regionen des Landes zusammen.

Leider ist es schon wieder grau, die Sonne will sich nicht zeigen, zusammen mit dem Staub der unasphaltierten Strasse ist es ein bisschen trostlos - wenn da nicht die vielen Blumen, Clowns, rosa Zuckerwatten, kandierte Rote Äpfel und die Essensgerüche wären. Von allen Seiten ertönt Musik, mal aus dem Radio, mal eine echte "Banda". Außerdem tönt es von allen Seiten mit Verkaufsangeboten von Blumen, Bier, Gua-Gua (Brot), Kerzen und vielem mehr und alles zur gleichen Zeit. Immer wieder werde ich angestarrt :"Hello Miss" rufen sie mir freundlich zu oder ich sehe ein paar Jugendlich die wie kleine Mädchen die Köpfe zusammenstecken, tuscheln und mir hinter her gucken. Hier falle ich auf, obwohl ich alte Sachen angezogen habe, ist es offensichtlich das ich hier nicht "hingehöre".

Es ist ein großes Geschäft: Musik- und Tanzgruppen die man für ein Ständchen mieten kann, Grabmaler, Blumenverkäufer, Essens- und Getränkestände und selbst Klos - ein Loch hinter einer Plastikfolie - werden angeboten. Die "Heilkundler" mit ihren Mixturen dürfen natürlich auch nicht fehlen.

Ich bin mal wieder platt: Welch Kontrast denke ich mir zu den deutschen Friedhöfen. Wo alles wie in einen Wattebausch gepackt ist: leises flüstern, wenige Menschen, nicht essen und trinken, alles eben quadratisch ordentlich. Das Jahrmarktspektakel auf dem Friedhof gibt es allerdings nur in den Aussenbezirken von Lima, der zentrale Friedhof in Lima ist ebenso ein Ort der Ruhe.

Hier wieder mal ein kleiner Fotoeindruck






TANZ- UND MUSIKGRUPPEN AUS VERSCHIEDENEN REGIONEN PERUS

Hier handelt es sich um den Scherentanz aus Puno. Wer genau hinguckt erkennt die Schere in der rechten Hand des Tänzers. Damit wird während des Tanzen geklappert. Begleitet wird er von einer Geige und der typischen Harfe aus Perú.

Mehr Musiker aus verschiedenen Regionen


WEITERE WICHTIGE DIENSTLEISTUNGEN AUF DEM FRIEDHOF

Auf dem Friedhof gab es Menschen die mit Farbtopf und Pinsel ihre Dienste zur Verschönerung der Gräber anbieten.

Ganz wichtig bei so vielen Menschen: Klos - insbesondere für Frauen :-)

Blumenverkauf
Die "Natur"-Heiler dürfen bei diesem Getümmel natürlich auch nicht fehlen. Schlangenhäute, Eidechseninnerein... ich will es gar nicht so genau wissen.
Lea su suerte - Man liest ihr Glück (wie auch immer das geht - macht der Affe das?)
Und sooooviele Mototaxis gab es auf dem Hin- und Rückweg
Und im nächste Jahr schaue ich mir dann mal einen Friedhof in einem anderen Stadtviertel an....

Dienstag, 14. Oktober 2008

LA PAZ

La Paz ist der Regierungssitz Bolivien (Hauptstadt ist Sucre) und hat nicht mal eine Million Einwohner, für eine lateinamerikanische Großstadt sehr ungewöhnlich. Wenn man die Aussenbezirke "El Alto", "Viacha" und "Achocalla" mit einschließt kommt man auf etwas mehr als 2 Millionen Einwohner, verglichen mit 12 Millionen in Lima gerade zu lächerlich. Insgesamt hat Bolivien ca. 9 Mill. Einwohner, dass ist immer noch weniger als Lima Einwohner hat.

La Paz liegt aus 3.500 Meter in einem tiefen Canyon, wie in einem großen Kessel. Die Anfahrt und Sicht auf La Paz ist atemberaubend. Die Stadt wird vom mächtigen Ilimano (6.439 m) mit seinen drei Gipfeln beherrscht.

Die Wohnviertel weisen eine deutliche Übereinstimmung zwischen Höhenlage und sozialem Status auf: je höher die Lage, desto ärmer die Bewohner und umgekehrt.

Ich fühle mich in dieser sonnigen Stadt sofort wohl. Das Stadtbild ist sehr andin geprägt, viel stärker als in Lima. Insbesondere die Frauen mit ihrer typischen Tracht mit Hut prägen dieses Bild. Es ist ein Bild voller Gegensätze. Hier fliesst traditionelles und modernes zusammen: Indigene Märkte- schicke Botiquen, koloniale Häuser - Betonklotz-Bauten, Supermärkte - Strassenstände, "Andinos" -"Weiße" etc. Es ist noch viel wuseliger als in Lima mit seinen ganzen ambulanten Händlern auf der Strasse, die alles verkaufen was man so braucht. Nichts desto trotzt erscheint es mir ruhiger und nicht so hektisch und aggressiv wie Lima. Es wird weniger gehupt und auch ein kleines bisschen rücksichtsvoller Auto gefahren.

Besonders beeindruckt hat mich ein riesiger Markt mitten in der Stadt: Erdbeere, Papaya, Mangogeruch steigt mir in die Nase. Manchmal auch der Geruch von ungekühltem Hühnchen oder Rind. Der ungekühlte Fleisch-Anblick ist - am mehr oder weniger frühen Morgen - etwas weniger erträglich. Menschenmassen schlängeln sich zwischen den Ständen her. Wir sind die einzigen Touristen. Unsere Kamera wird manchmal freundlich, manchmal mit Beschimpfungen wahrgenommen. Aber sie faszinieren mich immer wieder diese Märkten: die Vielfalt, die Gerüchen, das Chaos und besonders die faltigen und bildbändern sprechenden Gesichter und Hände der Menschen.

Hier ein paar Bild-Eindrücke vom Marktgeschehen


Obst, Obst, Obst


Blumenstand


Verschiedenen Bananensorten



Frischer Fisch - nur für wie lange ohne Kühltheke?


Getrocknete Pfirsiche


CHUNO - Getrocknete Kartoffel


Hüte


Und hier wurde ich als Paparazzi enttarnt :-)

Das wars mit Bildeindrücken aus La Paz!

Sonntag, 14. September 2008

MI AMIGA

Die Sprache der Latinos ist sehr herzlich. Wenn ich auf dem Markt einkaufe werde ich immer freundlich "mit amiga" (Freundin), "mi amor" (meine Liebe), "mamita", "linda "(hübsche) etc. angesprochen. Und so wird auch jeder Mensch eigentlich gleich als "mi amiga" (meine Freundin) aufgenommen. Das fand ich zu Anfang doch immer sehr befremdlich, da bei uns das Wort Freund oder Freundin doch einen sehr hohen Stellenwert hat. Im Zweifelsfall greifen wir eher auf das Wort „Bekannte“ oder vielleicht noch „gute Bekannte“ zurück. Das Wort „Bekannte“ wird hier aber nicht benutzt, sondern schon nach einem ersten kurzen Treffen wird man zu „mi amiga“.

Als ein Kollege im Büro in meiner Anfangszeit zu mir kam und sagte er habe meinem Freund die benötigte Information gesendet, war ich etwas irritiert. Es handelte sich um einen Kunden, mit dem ich das erste Mal gesprochen, und meinen Kollegen gebeten hatte ihm die benötigte Information zukommen zu lassen. Also habe ich erstmal explizit und etwas empört richtig gestellt, dass sei nicht mein Freund. Ich hätte den noch nie gesehen. Etwas irritiert zog mein Kolleg wieder von dannen, wollte er doch eigentlich nur mit seiner getanen Arbeit glänzen.

Letzte Woche ertappte ich mich dann allerdings dabei wie ich zu unserer neuen Praktikantin der „Casa Belén“ sagt: „Also deine Freundin die in Barranco arbeitet…“ Worauf sie mich etwas irritiert anguckte und gleich richtig stellte, dass das eigentlich ja keine Freundin, sondern nur eine Bekannte sei, die sie eben während des Ausreisseminares kennen gelernt hätte. Ich musste innerlich lachen vielleicht bin ich jetzt nach zwei Jahren doch schon ein wenig peruanisierter als ich je gedacht habe?

Samstag, 13. September 2008

„Freio“ gibt es nicht

Manchmal möchte ich am liebsten die Augen verschließen vor der Armut in diesem Land, vor den bettelnden Kindern, die ambulanten Händler die zur Hauptverkehrszeit Taschentücher, Bonbons etc. am Straßenrand verkaufen, den dreckigen Hinterhöfen, den „Geschichtenerzählern“ und Musikmachern im Bus, die alle einen „Solsito“ möchten.

Manchmal würde ich mich am liebsten in meiner heilen „Miraflores –Welt“ verstecken. Aber verstecken gilt nicht, auch wenn mir Miralfores mit seinem vielen grün, den sauberen Strassen und den reichen Menschen manchmal wie ein „Freio“ früher beim Fangen spielen vorkommt.


Aber auch hier bin ich mit der starken sozialen Ungleichheit täglich konfrontiert. Den Menschen wie Santos, unserem Hausmeister, Lourdes die Bettlerin im Rollstuhl vor dem schniecken Supermarkt Wong oder Milagros die bei mir einmal in der Woche putzt. Das sind alles Menschen die in den Vororten leben oft nur mir kaltem Wasser oder gar keinem fließend Wasser-Anschluss und auch ganz ohne Abwassersystem. Sie leben auf den staubigen-steinigen Hügeln im Umland von Lima mit mal besseren, mal schlechtern Behausungen.


Milagros
Milagros heißt übersetzt Wunder und ich scherze gerne das sie tatsächlich jeden Freitag in meiner Wohnung ein Wunder vollbringt. Milagros ist 25 Jahre, Tochter des Hausmeisters und Mutter einer vierjährigen Tochter. Fast die ganze Familie lebt von dem Haus in dem ich wohne. Die Mutter putzt in einer anderen Wohnung, Sohn Ivan hilft manchmal bei der Nachtwache, Sohn Rafael bei den Malerarbeiten.

Diese Woche stand Milagros abends vor meiner Tür, völlig aufgelöst und erzählt mir weinend dass ihr Haus zusammengefallen sei.
Milagros lebt in einem "Pueblos Jovenes", davon habe ich ja bereits einmal berichtet. Vorletzte Nacht ist das auf einem steinigen Hügel gebaute Haus an einer Seite zusammengesackt, bzw. die Steinmauer auf die sie es gebaut haben ist weggesackt. Warum weiß keiner so genau. Das starke Erdbeben im letzten Jahr hat es ohne Schaden überstanden. Sie bittet mich um ein „préstamo“(Geld leihen) von 5.000 Soles, um das Haus jetzt mit einer richtigen Betonmauer zu bauen. 5.000 Soles das sind ca. 1.200 EUR. Das ist eine ganze Menge Geld. Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Natürlich ist das ein Betrag den ich für einen Notfall zur Verfügung habe, aber ist das ein Notfall? Kann Sie das Geld überhaupt zurückzahlen? Kann man das Haus nicht vielleicht auch nach und nach konstruieren, so dass sie sparen können? All das geht mir durch den Kopf während ich versuche ihr zu erklären, dass ich soviel Geld auch nicht einfach so habe. Sie heult und ist einfach verzweifelt bei der Bank waren sie auch schon aber ihr Mann hat keine Einkommensbescheinigung, er arbeitet schwarz, verdient aber immerhin 400 Soles in der Woche. Das ist ganz ehrlich gesagt mehr als mein lokales Gehalt. Ist das arm? Vor allem wen man keine Steuern zahlt? Ich kann mich dazu durchringen ihr 300 Dollar zu leihen, aber mehr?

Und da ist wieder das Gefühl, ich will das alles gar nicht mitkriegen, muss ich jetzt doch mit meinem Gewissen verhandeln. Kann ich nicht in meinem „Freio“ bleiben?
So langsam kommt mir der Gedanke das diese ganzen „pitukos“ (verwöhnte Reiche) die hier so oft ihre Angestellten herumkommandieren und diese sehr abfällig behandeln, eigentlich nur einen Schutzmechanismus aufbauen um genau diese Anfragen erst gar nicht zu zulassen, um sich nicht mit seinem Gewissen auseinander setzten zu müssen. Vielleicht steht auch oft der Wunsch dahinter diesen Teil der Welt aus zu blenden, wo man ja selber wie die Made im Speck lebt.

Milagros hat vor allem Angst das ich ihr die Geschichte nicht glaube, deshalb möchte sie gerne das ich sie Besuche um mir selber ein Bild der Lage zu machen.


Besuch in Villa Maria de Triunfo
Das Viertel ist wie alle Außenbereiche auf kargem-staubigen-hügeligen Wüstenland gebaut. Das Haus von Milagros liegt hinter dem Grundstück der Mutter etwas weiter oben, eine Treppe wie in vielen anderen Regionen gibt es noch nicht. Das Stück Land gehört ihr leider nicht, sie hat es besetzt (siehe auch blog "Landbesetzungen"), so wie ihre Nachbarn zur Rechten und zur Linken. Ein „Titulo de propiedad“ (Eigentumsrecht) hat sie daher auch noch nicht. Leider gibt es zu allem Überfluss auch noch Ärger mit den Nachbarn. Es soll nämlich ein Weg gebaut werden, nur soll der durch das Haus von Milagros führen. Ich frage sie wie so was geregelt wird, denn eigentlich gehört ja keinem das Land. „Na ja es wird eben so lange gestritten bis einer aufgibt oder die Municipalidad (Gemeinde) das Ganze regelt. Manchmal wechselt auch der Bürgermeister und dann geht alles von vorne los“. Ihre Mutter hat dort bereits vor 20 Jahren gesiedelt und hat seit einem Jahre das Eigentumsrecht und damit kam auch der Wasser- und Abwasserschluß; eine wahre Errungenschaft.

Das Haus von Milagros
Das Gelände ist sehr abschüssig und um den Boden zu nivellieren ist dieser mit großen Steinbrocken aufgeschüttet. Dann ein Betonboden drüber und einfache Holzwände. Das Dach sieht aus wie alte Asbest-Well-Pappen. Es ist nur ein großer Raum ca. 20qm, also eher wie ein großes Zimmer ein wenig abseits vom Haus ihrer Eltern. Immerhin hat es ein Ehebett und ein eigenes Bett für ihre Tochter Katharina. Sehr häufig gibt es in Familie nur ein Bett für alle. Aber einen 1A-Klasse Gasherd und einen top-modernen Kühlschrank. Davon bin ich wiederum beeindruckt. Bei aller Bescheidenheit des Hauses sie hat einen fantastischen Blick über die Hügelkette und sie selber scherzt, das ist wie in Casuarinas. Casuarinas ist eins der teuersten Wohnviertel in Lima, auch auf einem Steinhügel gebaut, aber begrünt, mit Schwimmbädern, großen Häusern und einer großen Mauer drum herum. Wenn man aus Lima raus fährt sticht dieser grüne Hügel zwischen den ganzen grauen und kargen Hängen hervor.


Der Schaden
An einer Ecke des Hauses ist der Untergrund aus dem Felsmaterial weggesackt. Warum das weiß keiner so richtig. Das Erdbeben vor gut einem Jahr hat es ohne Probleme überstanden. Das Haus ist also ein bisschen abgesackt und es besteht die Gefahr, dass der Beton-Boden quasi „durchbricht“ und damit dann alles in sich zusammenfällt. Das heißt man muss das Haus neu bauen. Ich finde allerdings das glücklicherweise keine wirklich akute Lebensgefahr besteht. Natürlich ist das kein Dauerzustand. Der eh sehr kleine Raum ist so nun auf noch weniger Fläche bewohnbar, denn da wo das Haus auf der abgesackten Ecke steht, sollte man nun nicht mehr herum laufen. Die Tochter schläft zur Zeit bei der Mutter, für Milagros und ihren Mann ist dort allerdings kein Platz mehr. Ihr Bruder möchte zwar demnächst eine zweite Etage auf das Haus bauen, aber das wird noch etwas dauern.

Und ist das nun ein Notfall?
Alles in allem habe ich nicht das Gefühl von unglaublicher Armut und bin ganz beruhigt, denn ehrlich gesagt hatte ich mir den Zustand schlimmer vorgestellt. Ich muss also nicht weiter mit meinem Gewissen verhandeln. Nichts desto trotz ist das Leben hier sehr bescheiden, trotz Fernseher (den nur ihre Mutter hat), Kühlschrank und Gasherd. Ein bisschen sehe ich es allerdings auch als typische Art und Weise der Latinos, dass erst in einen super Herd investiert wird und dann erst in das Fundament des Hauses – und auch erst dann wenn es zusammenfällt. Die täglichen Dinge sind eben immer wichtiger als langfristig zu planen. Ich bin ganz froh einmal Milagros Haus kennen gelernt zu haben, denn ich möchte mir nicht diese Gleichgütigkeit gegenüber Menschen angewöhnen die für mich arbeiten. Santos, Lourdes, Milagros und viele Menschen mehr gehören hier zu meinem „Veedel“. Menschen denen ich täglich begegnet, wie könnten sie mir gleichgültig sein? Für Milagros und ihr Haus wird es eine Lösung geben. Sie wird anfangen eine neue Mauer zu bauen und dann nach und nach den Rest zu bauen. Aber eben poco a poco! (Stück für Stück).

Samstag, 9. August 2008

Von Anden, Flöhen und Kartoffeln

Es ist mal wieder soweit die Fiestas patrias, die Unabhängig seit 1821 wird gefeiert. Lima liegt still, es ist wie Weihnachten alle Firmen haben geschlossen nur die Supermärkte und natürlich auch der BIO MARKT haben noch auf, um sich für die Festtage mit Köstlichkeiten ein zu decken.

Heute mal ein Foto-Urlaubs-Blog fast ganz ohne interkulturelle, politische oder soziale Hintergründe. Und so beginnen auch wir die Feiertage in Lima auf dem BIO MARKT.

Nach einem anstrengendem Einkauf erstmal einen großen frisch gepressten Saft. Mhhh!

Zu Hause angekommen wird unsere erstandene Beute drapiert: Kartoffeln, Ollucos, Yukas...

Maracuyá, Grenadine, Pflaumen, Pitahaya, Lucoma, Karamole, Mamey, Baumtomate.... Und das müssen wir jetzt alles noch essen bevor wir auf reisen gehen. Mhhhhhmmm!

HUANCAYO
430.000 Einwohner, Hauptstadt des Bezirkes Junín, liegt 250 km östlich Limas in den Anden auf 3259 m.ü.M.

Und am nächsten Tag sitzen wir schon im Bus richtig Huancayo: Das sind ja schöne Aussichten.

Der Blick aus unserem Hostal

LANDWIRTSCHAFSMESSE IN HUANCAYO
Und dann gleich zur landwirtschafltichen Messe. Wie gut das ich mit Eva, auch einer Diplom-Bäuerinn, reise welche die Faszination für Schafe, Lamas, Kartoffeln etc. teilt. Auf dem Foto sieht man wie "Pachamanca", ein traditionelles Andengericht, zubereitet wird.

Eigentlich gräbt man ein Loch in den Boden (aber auf so einer Messe ist man da eben mal flexibel und macht das ganze oberirdisch) und entzünden dort ein Feuer, in dem große flache Steine erhitzt werden. Wenn diese so richtig heiß sind schichtet man Kartoffeln, Fleisch, (Ziege, Schwein oder Hühnchen) Mais, Bohnen etc. zwischen die heißen Steine. Dann wird es zugeschüttet und ca. 2 Stunden lang in der Erde gekocht. Leider hatten wir zuvor schon gegessen :-(.


Zuchthamster (cuys) dürfen natürlich nicht auf einer peruanischen Messe nicht fehlen. Da gibt es genau solche Abstammungslinien wie bei Kühen, Schweinen, Schafen etc. Nicht umsonst ist "cuy" hier ein Nationalgericht.


Und dann das was wir schon lange gesucht haben: Kartoffel, Kartoffeln, Kartoffeln!!!!! Eine Auswahl ohne Ende. Hier kaufen wir dann auch ein um später, zurück in Lima, ein kleines Verkostungsessen zu machen. Dafür müssen wir allerdings die nächsten Tage 3 kg Kartoffeln mit auf unsere Fahrt nehmen.


Weitere Knollenfrüchte: Die sind süß und haben bei unserem ersten Testessen nicht so richtig gut abgeschnitten.


WANDERN IN HUANCAYO

Jetzt endlich raus in die Natur: Wandern auf 4.500 m, da ist das Atmen mal wieder schwer. Puh!! Uff!! Geht alles nur ganz langsam. Immer schön Pause machen.

Aber die Aussicht belohnt einen mit einer bizarren Landschaft


Und hier noch was fürs Auge

Endlich ist die Lagune in Sicht, wir allerdings auch ein bisschen Höhenkrank (Soroche)

Und schon zieht der Nebel auf. Wir halten dann auch nur die Hände, anstatt den ganzen Körper ins Wasser. Das soll nämlich das Unglück vertreiben. Auch die einheimische Bevölkerung zieht an diesen Ort um rituellen Gebräuche zu feiern.


CHUPALCA

In Chupalca sind wir 15 Minuten entfert von Huancayo auf dem Weg nach Yauyos gestrandet. Es fährt es morgen wieder ein Bus.


Nach längerer Hostal suche - das ist in den provincias manchmal nicht so leicht, denn es gibt häufig nur kaltes Wasser **brrr**, Flöhe und einfach nur ungemütliche kalte Zimmer - bestellen wir in der Bäckerei einen "Capuccino". Die junge Verkäuferin guckt mich nur ungläubig an. Ich zeige ihr dann auf der Speisekarte: "Café Capuccino". Ein lautes "Ahhhhh" entfährt ihr und sie sagt mit einem Unterton von "warum ich das denn nicht gleich gesagt habe": "Café" und lächelt. Danach sieht man drei junge Mädchen aufgeregt zwei Capuccinos vorbereiten. Wir sind schon ganz gespannt. Und das ist das Ergebnis. We proudly present:


Normaler Cafe gesüßt mit einer großen Sahnehaube und diese auch stark gezuckert. Stolz präsentieren sie uns den Capuccino. Wir sind ehrlich gesagt ganz gerührt wie liebevoll sie ihn zubereitet haben und versuchen ihn auch auszutrinken, aber ganz schaffen wir es leider nicht.

Lebensmittelhygiene? Zwei frisch geschlachtete Schweine mitten in der Sonne:

YAUYOS
Hauptstadt des Bezirkes Yauyos ca. 2900 m.ü.M.

Am nächsten Morgen geht es dann los nach Yauyos. Der Bus ist vollbepackt. Nicht nur mir Peruanern sondern auch mit Säcken von Knoblauch, Zwiebeln, Weizen etc.


Und jetzt bleiben wir auch noch mit dem Bus liegen. Und das auf sonnigen aber kalten 4.300 m. Aber wie man sieht die Laune ist gut.


Wir haben dann den erst besten Lastwagen angehalten, der uns bis nach Tinco auf "nur" noch 4050 m mit nimmt.

Wir schaffen es tatsächlich mit dem nächsten Bus noch am gleichen Tag bis Yauyos. Allerdings war die Busfahrt sehr spektakulär. Ein großer Bus, vollbepackt von innen und außen, eine enge, kurvenreiche nicht asphaltierte Straße und vor allem ein tiefer Abgrund. Und wir ganz vorne mit bester Aussicht auf jeden Abgrund. Aber es gab auch einen Busfahrer der starke Nerven und ein gutes Augenmaß hat.



Hier unsere spartanische Unterkunft in Yauyos, die mir mal wieder eine Reihe Flohstiche eingetragen haben und natürlich gab es auch nur kaltes Wasser.


Aber die Landschaft entschädigt uns mal wieder

VIÑAK
Nachmittags geht es dann mit einem neuen Bus weiter Richtung Viñak, einem kleinen Andendörfchen. Dort lassen wir es uns gut gehen.


Und während die einen hart Arbeiten ....


...schmausen die andern feudal (wir in diesem Fall)
Ehrlich gesagt besser kann man die Situation in Peru gar nicht charakterisieren.


KARTOFFELTESTESSEN, LIMA

Und zurück in Lima, werden endlich die Kartoffeln gekocht, getestet und verspeist. Fünf Sorten (in einer Schale liegen zwei Sorten) haben wir getestet: Huamantanga, Santa Domingo, Huayru Macho, Piña, Camotillas. Und wer war gleich nochmal der Gewinner? Ich glaube es war "Huayru Macho".


Na dann Prost!

Fotos diesmal zum größten Teil von Eva Milz :-). Danke!