Sonntag, 14. September 2008

MI AMIGA

Die Sprache der Latinos ist sehr herzlich. Wenn ich auf dem Markt einkaufe werde ich immer freundlich "mit amiga" (Freundin), "mi amor" (meine Liebe), "mamita", "linda "(hübsche) etc. angesprochen. Und so wird auch jeder Mensch eigentlich gleich als "mi amiga" (meine Freundin) aufgenommen. Das fand ich zu Anfang doch immer sehr befremdlich, da bei uns das Wort Freund oder Freundin doch einen sehr hohen Stellenwert hat. Im Zweifelsfall greifen wir eher auf das Wort „Bekannte“ oder vielleicht noch „gute Bekannte“ zurück. Das Wort „Bekannte“ wird hier aber nicht benutzt, sondern schon nach einem ersten kurzen Treffen wird man zu „mi amiga“.

Als ein Kollege im Büro in meiner Anfangszeit zu mir kam und sagte er habe meinem Freund die benötigte Information gesendet, war ich etwas irritiert. Es handelte sich um einen Kunden, mit dem ich das erste Mal gesprochen, und meinen Kollegen gebeten hatte ihm die benötigte Information zukommen zu lassen. Also habe ich erstmal explizit und etwas empört richtig gestellt, dass sei nicht mein Freund. Ich hätte den noch nie gesehen. Etwas irritiert zog mein Kolleg wieder von dannen, wollte er doch eigentlich nur mit seiner getanen Arbeit glänzen.

Letzte Woche ertappte ich mich dann allerdings dabei wie ich zu unserer neuen Praktikantin der „Casa Belén“ sagt: „Also deine Freundin die in Barranco arbeitet…“ Worauf sie mich etwas irritiert anguckte und gleich richtig stellte, dass das eigentlich ja keine Freundin, sondern nur eine Bekannte sei, die sie eben während des Ausreisseminares kennen gelernt hätte. Ich musste innerlich lachen vielleicht bin ich jetzt nach zwei Jahren doch schon ein wenig peruanisierter als ich je gedacht habe?

Samstag, 13. September 2008

„Freio“ gibt es nicht

Manchmal möchte ich am liebsten die Augen verschließen vor der Armut in diesem Land, vor den bettelnden Kindern, die ambulanten Händler die zur Hauptverkehrszeit Taschentücher, Bonbons etc. am Straßenrand verkaufen, den dreckigen Hinterhöfen, den „Geschichtenerzählern“ und Musikmachern im Bus, die alle einen „Solsito“ möchten.

Manchmal würde ich mich am liebsten in meiner heilen „Miraflores –Welt“ verstecken. Aber verstecken gilt nicht, auch wenn mir Miralfores mit seinem vielen grün, den sauberen Strassen und den reichen Menschen manchmal wie ein „Freio“ früher beim Fangen spielen vorkommt.


Aber auch hier bin ich mit der starken sozialen Ungleichheit täglich konfrontiert. Den Menschen wie Santos, unserem Hausmeister, Lourdes die Bettlerin im Rollstuhl vor dem schniecken Supermarkt Wong oder Milagros die bei mir einmal in der Woche putzt. Das sind alles Menschen die in den Vororten leben oft nur mir kaltem Wasser oder gar keinem fließend Wasser-Anschluss und auch ganz ohne Abwassersystem. Sie leben auf den staubigen-steinigen Hügeln im Umland von Lima mit mal besseren, mal schlechtern Behausungen.


Milagros
Milagros heißt übersetzt Wunder und ich scherze gerne das sie tatsächlich jeden Freitag in meiner Wohnung ein Wunder vollbringt. Milagros ist 25 Jahre, Tochter des Hausmeisters und Mutter einer vierjährigen Tochter. Fast die ganze Familie lebt von dem Haus in dem ich wohne. Die Mutter putzt in einer anderen Wohnung, Sohn Ivan hilft manchmal bei der Nachtwache, Sohn Rafael bei den Malerarbeiten.

Diese Woche stand Milagros abends vor meiner Tür, völlig aufgelöst und erzählt mir weinend dass ihr Haus zusammengefallen sei.
Milagros lebt in einem "Pueblos Jovenes", davon habe ich ja bereits einmal berichtet. Vorletzte Nacht ist das auf einem steinigen Hügel gebaute Haus an einer Seite zusammengesackt, bzw. die Steinmauer auf die sie es gebaut haben ist weggesackt. Warum weiß keiner so genau. Das starke Erdbeben im letzten Jahr hat es ohne Schaden überstanden. Sie bittet mich um ein „préstamo“(Geld leihen) von 5.000 Soles, um das Haus jetzt mit einer richtigen Betonmauer zu bauen. 5.000 Soles das sind ca. 1.200 EUR. Das ist eine ganze Menge Geld. Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll. Natürlich ist das ein Betrag den ich für einen Notfall zur Verfügung habe, aber ist das ein Notfall? Kann Sie das Geld überhaupt zurückzahlen? Kann man das Haus nicht vielleicht auch nach und nach konstruieren, so dass sie sparen können? All das geht mir durch den Kopf während ich versuche ihr zu erklären, dass ich soviel Geld auch nicht einfach so habe. Sie heult und ist einfach verzweifelt bei der Bank waren sie auch schon aber ihr Mann hat keine Einkommensbescheinigung, er arbeitet schwarz, verdient aber immerhin 400 Soles in der Woche. Das ist ganz ehrlich gesagt mehr als mein lokales Gehalt. Ist das arm? Vor allem wen man keine Steuern zahlt? Ich kann mich dazu durchringen ihr 300 Dollar zu leihen, aber mehr?

Und da ist wieder das Gefühl, ich will das alles gar nicht mitkriegen, muss ich jetzt doch mit meinem Gewissen verhandeln. Kann ich nicht in meinem „Freio“ bleiben?
So langsam kommt mir der Gedanke das diese ganzen „pitukos“ (verwöhnte Reiche) die hier so oft ihre Angestellten herumkommandieren und diese sehr abfällig behandeln, eigentlich nur einen Schutzmechanismus aufbauen um genau diese Anfragen erst gar nicht zu zulassen, um sich nicht mit seinem Gewissen auseinander setzten zu müssen. Vielleicht steht auch oft der Wunsch dahinter diesen Teil der Welt aus zu blenden, wo man ja selber wie die Made im Speck lebt.

Milagros hat vor allem Angst das ich ihr die Geschichte nicht glaube, deshalb möchte sie gerne das ich sie Besuche um mir selber ein Bild der Lage zu machen.


Besuch in Villa Maria de Triunfo
Das Viertel ist wie alle Außenbereiche auf kargem-staubigen-hügeligen Wüstenland gebaut. Das Haus von Milagros liegt hinter dem Grundstück der Mutter etwas weiter oben, eine Treppe wie in vielen anderen Regionen gibt es noch nicht. Das Stück Land gehört ihr leider nicht, sie hat es besetzt (siehe auch blog "Landbesetzungen"), so wie ihre Nachbarn zur Rechten und zur Linken. Ein „Titulo de propiedad“ (Eigentumsrecht) hat sie daher auch noch nicht. Leider gibt es zu allem Überfluss auch noch Ärger mit den Nachbarn. Es soll nämlich ein Weg gebaut werden, nur soll der durch das Haus von Milagros führen. Ich frage sie wie so was geregelt wird, denn eigentlich gehört ja keinem das Land. „Na ja es wird eben so lange gestritten bis einer aufgibt oder die Municipalidad (Gemeinde) das Ganze regelt. Manchmal wechselt auch der Bürgermeister und dann geht alles von vorne los“. Ihre Mutter hat dort bereits vor 20 Jahren gesiedelt und hat seit einem Jahre das Eigentumsrecht und damit kam auch der Wasser- und Abwasserschluß; eine wahre Errungenschaft.

Das Haus von Milagros
Das Gelände ist sehr abschüssig und um den Boden zu nivellieren ist dieser mit großen Steinbrocken aufgeschüttet. Dann ein Betonboden drüber und einfache Holzwände. Das Dach sieht aus wie alte Asbest-Well-Pappen. Es ist nur ein großer Raum ca. 20qm, also eher wie ein großes Zimmer ein wenig abseits vom Haus ihrer Eltern. Immerhin hat es ein Ehebett und ein eigenes Bett für ihre Tochter Katharina. Sehr häufig gibt es in Familie nur ein Bett für alle. Aber einen 1A-Klasse Gasherd und einen top-modernen Kühlschrank. Davon bin ich wiederum beeindruckt. Bei aller Bescheidenheit des Hauses sie hat einen fantastischen Blick über die Hügelkette und sie selber scherzt, das ist wie in Casuarinas. Casuarinas ist eins der teuersten Wohnviertel in Lima, auch auf einem Steinhügel gebaut, aber begrünt, mit Schwimmbädern, großen Häusern und einer großen Mauer drum herum. Wenn man aus Lima raus fährt sticht dieser grüne Hügel zwischen den ganzen grauen und kargen Hängen hervor.


Der Schaden
An einer Ecke des Hauses ist der Untergrund aus dem Felsmaterial weggesackt. Warum das weiß keiner so richtig. Das Erdbeben vor gut einem Jahr hat es ohne Probleme überstanden. Das Haus ist also ein bisschen abgesackt und es besteht die Gefahr, dass der Beton-Boden quasi „durchbricht“ und damit dann alles in sich zusammenfällt. Das heißt man muss das Haus neu bauen. Ich finde allerdings das glücklicherweise keine wirklich akute Lebensgefahr besteht. Natürlich ist das kein Dauerzustand. Der eh sehr kleine Raum ist so nun auf noch weniger Fläche bewohnbar, denn da wo das Haus auf der abgesackten Ecke steht, sollte man nun nicht mehr herum laufen. Die Tochter schläft zur Zeit bei der Mutter, für Milagros und ihren Mann ist dort allerdings kein Platz mehr. Ihr Bruder möchte zwar demnächst eine zweite Etage auf das Haus bauen, aber das wird noch etwas dauern.

Und ist das nun ein Notfall?
Alles in allem habe ich nicht das Gefühl von unglaublicher Armut und bin ganz beruhigt, denn ehrlich gesagt hatte ich mir den Zustand schlimmer vorgestellt. Ich muss also nicht weiter mit meinem Gewissen verhandeln. Nichts desto trotz ist das Leben hier sehr bescheiden, trotz Fernseher (den nur ihre Mutter hat), Kühlschrank und Gasherd. Ein bisschen sehe ich es allerdings auch als typische Art und Weise der Latinos, dass erst in einen super Herd investiert wird und dann erst in das Fundament des Hauses – und auch erst dann wenn es zusammenfällt. Die täglichen Dinge sind eben immer wichtiger als langfristig zu planen. Ich bin ganz froh einmal Milagros Haus kennen gelernt zu haben, denn ich möchte mir nicht diese Gleichgütigkeit gegenüber Menschen angewöhnen die für mich arbeiten. Santos, Lourdes, Milagros und viele Menschen mehr gehören hier zu meinem „Veedel“. Menschen denen ich täglich begegnet, wie könnten sie mir gleichgültig sein? Für Milagros und ihr Haus wird es eine Lösung geben. Sie wird anfangen eine neue Mauer zu bauen und dann nach und nach den Rest zu bauen. Aber eben poco a poco! (Stück für Stück).