Samstag, 21. Juli 2007

Fiestas Patrias: Festlichkeiten zur Unabhängigkeit

Fiestas Patrias werden die Nationalfeiertage zum Gedenken an den Tag der Unabhängigkeitserklärung am 28. Juli 1821, durch den Befreier Jose de San Martin genannt. Den ganzen Monat Juli finden bereits Festlichkeiten statt und an allen Häusern werden auf staatliche Verordnung hin die Fahnen gehisst. Das Bild zeigt einen Aufruf dazu: "Wir respektieren dich peruanische Fahne".

Auch in den Schulen und Kindergärten finden Feste zum Unabhängigkeitstag statt. Heute habe ich dann einen Einblick in die Festlichkeiten des Kindergartens "Casa Belen", in dem ich seit Anfang des Jahres nebenbei im Vorstand arbeite, bekomme. "Casa Belen" ist ein Sozialprojekt der evangelischen-deutschen Kirchengemeinde, gegründet in Breña, einem Armenviertel Limas.

In den letzten Wochen hat man sich im Kindergarten bereits intensiv auf das Fest vorbereitet. In den einzelnen Gruppen wurden die Landstriche: Costa (Küste), Selva (Regenwald) und Sierra (Gebirge) besprochen. Höhepunkt des Festes selber waren die Tänze aus den verschiedenen Regionen des Landes. Und ich habe es sehr genossen, die kleinen bunten Darbietungen, die mich mal wieder daran erinnert haben welches Glück ich habe ein anderes Land kennen zu lernen. Hier ein paar Eindrücke:

CARNAVAL DE ARAPA (SIERRA)

CARNAVAL DE CUZCO (SIERRA)

CARNAVAL DE ANACONDA (SELVA)


CARNAVAL DE CAJAMARCA

DANZA DE PUNO: TUNTUA
Jeder Tanz hat einen kulturellen Hintergrund, wie die Tuntua, die ein typischer Tanz der Sklavenarbeiter aus der Region Puno ist. Trotz genügend kulturellem-arbeitsfrust macht dieses bunte Land mit seinem gesunden Nationalstolz weiterhin Lust auf mehr!

Informelle Arbeiten

Da stand es doch diesen Monat schwarz auf weiß in der Zeitung: Peru steht an fünfter Stelle der Länder mit der höchsten Quote am informellen Sektor ("Somos el quinto país más informal").

Das soeben frisch beschlossene Freihandelsabkommen TLC (Tradado libre Comercio) zwischen Perú und den USA soll nun den Weg ebenen dies zu verändern. Wie das TLC allerdings den kleinen Händlern auf der Strasse helfen soll, ist mir nicht wirklich einleuchtend.

Was heißt informell?
60 % des Bruttosozialproduktes schätzt man wird im informellen Sektor erzeugt. Ein großer Teil der Arbeiter und Arbeiterinnen ist nicht in einen formellen Sektor einbezogen, das heißt diese arbeiten ohne jegliche soziale oder arbeitsrechtliche Absicherung. Dies führt zu einem bunten Bild in Lima: x-tausende von so genannten ambulanten Händlern begegnen mir täglich auf der Straße, die einen verkaufen Taschentuchpakete (leider nie wenn ich eins brauche), Zeitungen, Süßigkeiten oder sonstige Utensilien für wenig Geld, zudem gibt es natürlich die klassischen Schuhputzer, Kioskbetreiber etc. Die Liste ist lang. Der Peruaner ist hier sehr einfallsreich, um wenigstens genügend Geld für sein Essen zu verdienen. Für viele der ambulanten Händler bedeutet arbeiten am selben Tag Geld zum essen zu haben oder eben auch nicht.

Es gibt allerdings auch ein grossteil informeller Arbeiten, die über die direkte tägliche Versorgung hinaus geht wie Taxiunternehmen, Handwerker oder andere Arbeiten.

Warum gibt es soviel informelle Arbeit?
Ein offizielles Geschäft anzumelden kostet Geld, Zeit und Nerven. Nicht um sonst gibt es hier den "Beruf" des Tramitador, das sind Menschen die für einen Behördengänge erledigen, die sich Stunden lang mit einer Seelenruhe in eine Warteschlage stellen (sie werden ja auch dafür bezahlt) und die am besten noch eine Kontaktperson in der Behörde sitzen haben. Ohne Kontakte läuft hier nämlich gar nichts. Eine wahre Klüngelwirtschaft.

Das Problem an der Bürokratie ist, dass sie hier willkürlich ist. Und das weiß ich aus eigenen Erfahrung (mein Visum). Es gibt kein Verfahrensablauf der für alle öffentlich ist. Jeder erklärt einem einen Teil des Verfahrens und wenn man dann glaubt man hat es endlich geschafft kommt irgendjemand mit dem Schild: "Neue Spielregel" und "Neuen Kosten". Der Peruaner hat eine eigene Art entwickelt damit um zugehen: stoische Gelassenheit. Aber noch viel größer ist die Vermeidungsstrategie. Ein peruanisches Sprichwort sagt: "No te hagas paltas"(wörtlich: "Mach dir keine Avocados", soll heißen: "Mach dir keine Probleme") und das wenden sie auch im Behördenumgang an. Wenn das Tramite nicht unbedingt notwendig ist, wird es vermieden. Denn keiner weiß, wie teuer, was es kostet und vor allem wie lange es dauern wird.

Der Zeitungsartikel im Comercio macht ebenso diese willkürliche Bürokratie für die fehlende Formalität verantwortlich. Während man in Australien 2 Tage (Platz 1) benötigt um ein Geschäft zu eröffnen, benötigt man in Peru 72 Tage (Platz 184).

Auch Informalität hat ihren Preis
Allerdings ist auch die Informalität nicht umsonst. Die größten Kosten für Informalität sind die Kosten für das Fehlen von Rechten der Betreiber, zum Beispiel von Bodennutzungsrechten. 70% des Landes hat keinen eingetragenen Boden-Eigentümer. Um nicht angezeigt zu werden oder andere Schwierigkeiten zu bekommen, zahlt hier jeder an irgendjemand Geld. Im informellen Sektor findet sich sozusagen noch mal der Staat in klein wieder, mit seinen eigenen informellen Regeln und seinen eigenen Gebühren.

Lima ohne ambulante Händler?
Was wäre Lima ohne sein chaotisches buntes Stadtbild mit all seinen ambulanten Händlern? Ehrlich gesagt, mir würde etwas fehlen. Aber es wäre ein Ausdruck davon, dass alle an dem Reichtum dieses Landes Teil haben, dass es für alle ein Recht auf Arbeit und soziale Absicherung gibt.

Das Land ist reich! In Peru, so hörte ich es auch auf einer Tagung von Javier Diez Canseco, einem bekannten Polit-Soziologen des Landes, müsste keiner Hunger leiden, wäre keine Entwicklungshilfe nötig, wenn Reichtum hier nur ein ganz kleines bisschen gerechter verteilt und der Staat mit einem gerechten Steuersystem nachhelfen würde.

Perspektivenwechsel: Einkaufen auf dem Bio-Markt

Heute auf dem Markt habe ich sehr gelacht, wie peruanisiert ich doch schon bin - zu mindestens beim Einkaufen. Das peruanische einkaufen auf dem Markt weicht nämlich deutlich vom deutschen System an.

In den ersten Wochen habe ich immer gewartet bis man mich bedient hat, mich ab und zu innerlich gefragt warum sich eigentlich immer alle vordrängeln. Aber die ersten Wochen hatte ich natürlich endlos Zeit. Ich kannte ja noch niemanden und das Einkaufen war so ein mit genommes Ritual aus Bonn, dass mir in ein bisschen das Gefühl von Heimat gab.

Als die Zeit knapper wurde habe ich dann irgendwann das System entlarvt. Hier muss man sich sein Recht erkämpfen. Sobald man es geschafft hat in der ersten Reihe zu stehen, nimmt man sich eine Kartoffel, füllt seine Tüte mit den Kartoffeln, die schon mindestens 10 andere Kunden durchwühlt haben und wirft die Tüte auf die Waage mit der direkten und forschen Frage ¿A cuanto están las papas? Und so macht man das dann weiter. Man muss nur aufpassen, dass nicht gleich die Waage wieder besetzt ist, denn hier wird gleichzeitig bedient. Aber jahrelanges Ligretto-Training (Ligretto ist eine Version von MauMau, nur alle spielen gleichzeitig) haben mir einen eindeutigen Vorteil verschafft und ich bin inzwischen auch einem einheimischen Peruaner auf dem Markt gewachsen.

Der stärkere, der lautere gewinnt ist hier leider ein beliebtes System. Ob im Straßenverkehr oder in Diskussionen wer lauter schreit, lauter hupt und sich sein Recht nimmt gewinnt. Manchmal stresst es mich ganz schön, denn eigentlich finde ich unser idyllisches Markt einkaufen deutlich angenehmer, genauso wie die eindeutige Strassenverkehrsregele: rechts vor links und Diskussion in denen man aufzeigen muss um sein Recht auf einen Beitrag zu signalisieren.

Bin ich peruanisiert?
Wie gut ich mich aber an das System am dem Markt adaptiert habe wurde mir dann bei meinen letzten Einkauf dieses Tages bewusst. Ich schielte noch zum bunten Mangold rüber. An dem Stand war auch kaum Betrieb. Also habe ich mir schnell einen Mangold geschnappt, die Bäuerin nach dem Preis gefragt und wir haben Soles gegen die Ware getauscht. Ganz schnell und unkompliziert. Nur, rechts von mir hörte ich plötzlich eine Stimme mit englischen Akzent. „Disculpa, Señorita, falta la educación“. Was wohl mit galt: „Entschuldigung Fräulein, es fehlt an Erziehung“.

Ich fühle mich sofort Seite ertappt und entlarvt, falle direkt in meine Kultur zurück und denke mir: "Hups, da hat sie hat Recht". Auf der anderen Seite denke ich mir: "Liebe Ausländerin das wirst du auch noch lernen, wenn du nicht Stunden warten möchtest".

Und dann wird mir auf einmal bewusst, wie es den Peruaner manchmal gehen muss, wenn ich mit meinem Kulturbild hier ankomme, mit meinen Spielregeln, wie komisch muss ich ihnen gar zu oft erscheinen. Und ist mein Verhalten höflicher und besser, wenn ich warte? Geht es nicht darum das alle die gleichen Spieleregel haben. Auch im Autoverkehr ist für den Peruaner einfach klar, dass das Autos vorfahrt haben, egal um es einen Zebrastreifen gibt oder nicht. Ich empfinde das als Respektlosigkeit. Das gleiche passiert mir in Diskussionen. Wer lauter schreit gewinnt und hat das Wort. Aber was ist denn schon richtig und falsch.

Mein kleiner Perspektivenwechsel hat mir gezeigt, wie schwer es ist eine andere Kultur nicht mit seiner Kultur zu bewerten, diese als Maßstab für alles zu nehmen, sondern es einfach stehen zu lassen. Auf dem Bio-Markt ist es mir offensichtlich geglückt, aber in vielen anderen Dingen steht mir meine Kultur doch häufig im Wege und die Spielregeln scheinen zu unterschiedlich, als könnte man wirklich das gleiche Spiel spielen. Zu einer wirklichen peruanisierung fehlen wohl noch viele Jahre......