Samstag, 21. Juli 2007

Informelle Arbeiten

Da stand es doch diesen Monat schwarz auf weiß in der Zeitung: Peru steht an fünfter Stelle der Länder mit der höchsten Quote am informellen Sektor ("Somos el quinto país más informal").

Das soeben frisch beschlossene Freihandelsabkommen TLC (Tradado libre Comercio) zwischen Perú und den USA soll nun den Weg ebenen dies zu verändern. Wie das TLC allerdings den kleinen Händlern auf der Strasse helfen soll, ist mir nicht wirklich einleuchtend.

Was heißt informell?
60 % des Bruttosozialproduktes schätzt man wird im informellen Sektor erzeugt. Ein großer Teil der Arbeiter und Arbeiterinnen ist nicht in einen formellen Sektor einbezogen, das heißt diese arbeiten ohne jegliche soziale oder arbeitsrechtliche Absicherung. Dies führt zu einem bunten Bild in Lima: x-tausende von so genannten ambulanten Händlern begegnen mir täglich auf der Straße, die einen verkaufen Taschentuchpakete (leider nie wenn ich eins brauche), Zeitungen, Süßigkeiten oder sonstige Utensilien für wenig Geld, zudem gibt es natürlich die klassischen Schuhputzer, Kioskbetreiber etc. Die Liste ist lang. Der Peruaner ist hier sehr einfallsreich, um wenigstens genügend Geld für sein Essen zu verdienen. Für viele der ambulanten Händler bedeutet arbeiten am selben Tag Geld zum essen zu haben oder eben auch nicht.

Es gibt allerdings auch ein grossteil informeller Arbeiten, die über die direkte tägliche Versorgung hinaus geht wie Taxiunternehmen, Handwerker oder andere Arbeiten.

Warum gibt es soviel informelle Arbeit?
Ein offizielles Geschäft anzumelden kostet Geld, Zeit und Nerven. Nicht um sonst gibt es hier den "Beruf" des Tramitador, das sind Menschen die für einen Behördengänge erledigen, die sich Stunden lang mit einer Seelenruhe in eine Warteschlage stellen (sie werden ja auch dafür bezahlt) und die am besten noch eine Kontaktperson in der Behörde sitzen haben. Ohne Kontakte läuft hier nämlich gar nichts. Eine wahre Klüngelwirtschaft.

Das Problem an der Bürokratie ist, dass sie hier willkürlich ist. Und das weiß ich aus eigenen Erfahrung (mein Visum). Es gibt kein Verfahrensablauf der für alle öffentlich ist. Jeder erklärt einem einen Teil des Verfahrens und wenn man dann glaubt man hat es endlich geschafft kommt irgendjemand mit dem Schild: "Neue Spielregel" und "Neuen Kosten". Der Peruaner hat eine eigene Art entwickelt damit um zugehen: stoische Gelassenheit. Aber noch viel größer ist die Vermeidungsstrategie. Ein peruanisches Sprichwort sagt: "No te hagas paltas"(wörtlich: "Mach dir keine Avocados", soll heißen: "Mach dir keine Probleme") und das wenden sie auch im Behördenumgang an. Wenn das Tramite nicht unbedingt notwendig ist, wird es vermieden. Denn keiner weiß, wie teuer, was es kostet und vor allem wie lange es dauern wird.

Der Zeitungsartikel im Comercio macht ebenso diese willkürliche Bürokratie für die fehlende Formalität verantwortlich. Während man in Australien 2 Tage (Platz 1) benötigt um ein Geschäft zu eröffnen, benötigt man in Peru 72 Tage (Platz 184).

Auch Informalität hat ihren Preis
Allerdings ist auch die Informalität nicht umsonst. Die größten Kosten für Informalität sind die Kosten für das Fehlen von Rechten der Betreiber, zum Beispiel von Bodennutzungsrechten. 70% des Landes hat keinen eingetragenen Boden-Eigentümer. Um nicht angezeigt zu werden oder andere Schwierigkeiten zu bekommen, zahlt hier jeder an irgendjemand Geld. Im informellen Sektor findet sich sozusagen noch mal der Staat in klein wieder, mit seinen eigenen informellen Regeln und seinen eigenen Gebühren.

Lima ohne ambulante Händler?
Was wäre Lima ohne sein chaotisches buntes Stadtbild mit all seinen ambulanten Händlern? Ehrlich gesagt, mir würde etwas fehlen. Aber es wäre ein Ausdruck davon, dass alle an dem Reichtum dieses Landes Teil haben, dass es für alle ein Recht auf Arbeit und soziale Absicherung gibt.

Das Land ist reich! In Peru, so hörte ich es auch auf einer Tagung von Javier Diez Canseco, einem bekannten Polit-Soziologen des Landes, müsste keiner Hunger leiden, wäre keine Entwicklungshilfe nötig, wenn Reichtum hier nur ein ganz kleines bisschen gerechter verteilt und der Staat mit einem gerechten Steuersystem nachhelfen würde.