Samstag, 29. November 2008

Nicaragua die Dritte

Managua. Nach 22 Stunden endlich angekommen! Es kommt mir schon sehr vertraut vor. Es ist das dritte Mal das ich hier lande. Aus dem klimatisierten Flughafengebäude herauskommend schlägt mir die feucht-warme Luft entgegen. Und ein unendlich blauer Himmel. Es fühlt sich sehr vertraut an, nicht so fremd und neu wie beim ersten Mal.

Ich fahre mit dem Taxi zum Büro und wie auch im letzten Jahr springen mir die Bilder von Comandante Daniel Ortega entgegen. „Arriba los pobres del mundo: más democracia, más poder” – („Die Armen der Welt an die Macht – Mehr Demokratie, Mehr Macht”). Das Bild ist das gleiche: Daniel Ortega mit einer unmotivierten erhobenen Faust - es sieht so gar nicht kämpferisch aus.

Soziale Ungleichheiten
Nicaragua hat 5,58 Millionen Einwohner und ist von einer extremen sozialen Ungleichheit gezeichnet. Die Armutsrate beträgt laut Weltbank(2005) 46%. Auf dem Land sogar 68%. Die Inflationsrate lag laut Banco Central de Nicaragua 2007 bei 16,9% (2006: 9,5%; 2005: 9,9%). Die Pro-Kopf-Ausgaben im Jahr 2007 sind gegenüber 2006 um mehr als das Doppelte gestiegen. In erster Linie sind Lebensmittel und Benzin teurer geworden. Die Regierung antwortet auf die Preissteigerung mit populistischen Maßnahmen. Es werden Schweine an Familien geschenkt, welches zwar kurzzeitig das Ernährungsproblem löst, langfristig aber weder die soziale, noch wirtschaftliche Lage der Familien verbessert. Dafür gibt es aber auch kostenlose Arzt- und Schulbesuche sowie das Sozialprogramm „Hambre Cero“ (Null Hunger). Dieses soll vorwiegend der armen Bevölkerung helfen, sich mit Grundnahrungsmitteln selbst zu versorgen

Wahlkampf mit Gott und Box-Champion
Am 23. November wurden in Nicaragua in 146 von 153 Kommunen der Bürgermeister gewählt. Danach gab es einen großen Skandal wegen Unregelmäßigkeiten. Die Wahlen sollen nicht frei und unabhängig gewesen sein. Von Wahlbetrug durch Daniel Ortega ist die Rede.

Was mich erschreckt sind die Wahlplakate, die noch überall hängen mit dem Spruch: „Cumplir al pueblo, es cumplir a Dios“ (Das Volk zufrieden stellen, heißt Gott zufrieden stellen). Daniel Ortega steht insbesondere den evangelikalen Kirchen nah, die in Nicaragua (auch in Peru) ein Gegengewicht zu den rechtsgerichteten Vereinigungen wie zum Beispiel das Opus Dei darstellen. Die katholische Kirche hat Ortega mit einem der schärfsten Abtreibungsgesetze „beglückt“. Das Gesetz stellt Schwangerschaftsabbruch in jeden Fall unter Strafe, auch wenn das Leben der Mutter gefährdet ist oder die Frau vergewaltigt wurde. Das Ganze wurde unter Zustimmung der katholischen und protestantischen Kirchenführer des Landes unterzeichnet.

Die Wahlplakate und die Sozialprogramme kommen mir vor wie „Brot und Spiele“. Das passt auch zu der Kampagne von Alexis, der nun gewählte Bürgermeister in Managua ist. Alexis war ein weltbekannter Boxer mit Weltmeistertitel (nicht das ich schon mal was dem gehört hätte). Sein Wahlspruch: „Campéon 2008“ (Champion 2008).

Und ich in Nicaragua?
Meine Hauptaufgabe ist es diesmal ein Trainingskurs für unsere Inspekteure zum Standard GLOBALGAP und UTZ CERTIFIED . Hier geht es um gute fachliche Agrarpraxis. Das Programm zwei Tage Büro, einen Tag praktische Übungen auf einer Kaffee-Finca.

Besonders interessant fand ich aber unsere kleine Veranstaltung im IICA (Instituto Interamericano de Cooperación para la Agricultura). Hier soll ich wieder mal etwas zur neuen EU-Verordnung zum ökologischen Landbau erzählen. Den Vortrag habe ich bereits vor zwei Wochen in Kanada gehalten, allerdings habe ich hier ein unerwartetes Publikum vor mir. Ich habe das Gefühl man hätte vielleicht nicht mit den Änderungen, sondern mit der EU-Verordnung allgemein anfangen sollen, auch wenn es sich bei den meisten Teilnehmern um die „Mesa redonda ecologica“ (runder Tisch zum Ökolandbau) handelt.

Interessant war wie immer die Zeitkomponente. Die Veranstaltung ist auf 8.00 Uhr angesetzt. Mein Kollege und ich - als Vorträger - kommen um 8.30 an. Angefangen wird dann so um 9.30. Da hätte ich ja noch 1, 5 Stunden arbeiten können denke ich mir wohl wissend das das E-Mail Postfach voll sein wird. Ich finde diese Unpünktlichkeit, Unplanbarkeit immer noch anstrengend und kann mich an diese ungenauen Zeitangaben einfach nicht gewöhnen. Weitere Teilnehmer kommen erst um 10.30 da sollte die Veranstaltung eigentlich schon fast zu Ende sein. Ich denke an das Buch „Landkarte der Zeit“ und an den Unterschied zwischen "Erlebniszeit" und "Uhrzeit". Während ich nach der Uhr lebe, leben viele Menschen in Lateinamerika nach der Erlebniszeit. Ein Ereignis dauert so lange wie es dauert und dann geht man eben zum nächsten über. Das hat durchaus auch etwas sehr positives.

Zum zweiten Mal in meinem Leben befand ich mich "urplötzlich" in einer Karaoke-Bar. Das ist sowohl in Peru, Bolivien als offensichtlich in Nicaragua ein beliebter Zeitvertreib. Glücklicherweise konnte ich es auch diesmal wieder von mir abwenden selbst zu singen. Aber ganz ehrlich sind diese lateinamerikanischen Schnulzen auch nix für mich. Aber die Latinos lieben es und es ist als Zuschauer auch recht lustig zu sehen (besser zu hören) wer sich auf einmal als begnadeter Sänger aus der Runde entpuppt.


Zurück in Lima vermisse ich sofort den blauen Himmel Managuas. Es wiederholt sich jedes Jahr, aber es ist auch jedes Jahr wieder zum stauen wie anders diese Welten sind, welch anderes Tempo, welch andere Gewohnheiten. Und wie schön es ist einen anderen Teil von dieser Welt zu kennen und zu teilen.

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